Posttraumatischer Stress nach einer Affäre

 

Wenn der Boden unter den Füßen wegbricht

In meiner Praxis erlebe ich regelmäßig Paare, die nach dem Aufdecken einer Affäre in einem Zustand tiefer Erschütterung zu mir kommen. Was viele unterschätzen – auch die Beteiligten selbst – ist die Dauer und Intensität dieser emotionalen Ausnahmezeit.

Immer wieder sehe ich, dass die Symptome nicht nach wenigen Monaten verschwinden. Sie halten häufig eineinhalb bis zwei Jahre oder länger an – besonders dann, wenn sie nicht ernst genommen oder vorschnell „wegtherapiert“ werden.

Von außen mag es „nur“ ein Vertrauensbruch in einer Beziehung sein – doch innerlich erleben viele Betroffene einen Zustand, der dem ähnelt, was wir aus der Trauma-Forschung kennen: ein anhaltender innerer Alarmzustand, Kontrollverlust, tiefe emotionale Verunsicherung.

In der Therapie sprechen viele von einem Gefühl, als würde ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen. Nichts ist mehr sicher. Alles wird in Frage gestellt. Das Nervensystem steht unter Dauerstress – und einfache Erklärungen oder gut gemeinte Versöhnungsversuche erreichen diesen Zustand oft nicht.

Was viele nicht wissen: Die Reaktionen, die nach dem Aufdecken einer Affäre auftreten können, ähneln in vielen Punkten den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Und sie brauchen genauso viel Achtsamkeit, Raum – und Zeit.

 

Wenn Bindung zum Trauma wird

Die meisten von uns verbinden Trauma mit Kriegs- oder Gewalterlebnissen. Aber auch in nahen Beziehungen kann es zu Bindungstraumata kommen – besonders dann, wenn der Mensch, von dem wir Liebe, Sicherheit und Nähe erwarten, plötzlich zum Auslöser von Schmerz und Verunsicherung wird.

In der psychologischen Forschung spricht man hier auch von relationalem Trauma (Siegel, 2012; van der Kolk, 2014), das entsteht, wenn die Bindungsperson gleichzeitig Quelle von Nähe und Bedrohung ist. Das kann im System unseres Nervensystems eine Art „inneren Alarmzustand“ auslösen, der vergleichbar ist mit klassischen Trauma-Reaktionen.

„Ich kann nicht aufhören, daran zu denken."  

„Ich traue meinem eigenen Gefühl nicht mehr."  

„Ich wache nachts auf, als hätte ich einen Albtraum gehabt – nur dass er echt war."

Diese Aussagen sind typisch für Menschen, die nach einer Affäre unter starken emotionalen Nachwirkungen leiden – und sie sind nicht übertrieben, sondern biologisch und psychologisch nachvollziehbar.

Illustration: Eine Frau hält ein Knäuel aus Chaos in der Hand – es wirkt wie ein Bündel negativer Gefühle.

Mögliche Symptome posttraumatischen Stresses nach einer Affäre

In einer Studie von Gordon, Baucom & Snyder (2004), die sich mit den psychologischen Folgen von Affären beschäftigte, zeigten rund 70 % der betroffenen Partner*innen Symptome, die einer akuten Belastungsreaktion oder sogar einer PTBS sehr ähnlich waren.

Dazu gehören:

  • Flashbacks und intrusive Gedanken: Immer wieder tauchen Bilder oder Szenen auf – teilweise aus Fantasie, teilweise aus Gesprächen oder Nachrichten.

  • Hypervigilanz: Übermäßige Wachsamkeit, ständiges Kontrollieren, Fragen, Misstrauen.

  • Vermeidungsverhalten: Themen, Orte, Personen oder Intimität werden vermieden, weil sie Trigger sind.

  • Emotionale Taubheit oder Überreaktionen: Einige Betroffene spüren „gar nichts mehr“, andere explodieren bei kleinsten Auslösern.

  • Körperliche Reaktionen: Schlaflosigkeit, Herzrasen, Atemnot, Magenschmerzen – das Nervensystem bleibt im Alarmzustand (vgl. Polyvagal-Theorie, Porges 2011).

  • Zerrüttetes Selbstbild: Die eigene Intuition wurde übergangen oder nicht wahrgenommen. Viele fragen sich: „Wie konnte ich das nicht merken? Bin ich naiv?“ Diese Reaktionen sind kein Zeichen von Schwäche – sondern eine gesunde Reaktion auf eine extreme seelische Erschütterung.

Illustration: Frau sieht auf Fensterrahmen und schaut nachdenklich zum Mond

Was hilft in dieser Situation?

1. Sicherheit – nicht sofort Lösung  

Nach dem Schock braucht das Nervensystem zuerst Ruhe, Vorhersehbarkeit und Halt – nicht sofort Entscheidungen. Auch wenn viele fragen: „Sollen wir uns trennen?“ – zunächst braucht es Stabilisierung (vgl. Judith Herman, Trauma and Recovery, 1992).

2. Benennung schafft Orientierung  

Psychoedukation kann entlasten: Wer versteht, dass das, was da passiert, eine normale Reaktion auf einen tiefen Schmerz ist, kann sich besser orientieren – und fühlt sich weniger „verrückt“ oder „überempfindlich“.

3. Gemeinsame Sprache finden  

In Paartherapie kann eine Sprache entstehen, die den Schmerz sichtbar macht, ohne Schuldzuweisung. Zum Beispiel: „Da ist ein Teil in mir, der einfach immer noch nicht glauben kann, dass das passiert ist. Und der braucht gerade Halt – nicht Argumente."

4. Rituale und kleine Absprachen  

Regelmäßige Check-ins, sichere Zeiten, transparente Kommunikation – all das kann helfen, das Nervensystem langsam wieder zu beruhigen. Diese kleinen Rituale wirken wie neue Beziehungssignale: „Du bist mir wichtig. Ich bin noch da."

5. Fachliche Begleitung  

Studien zeigen, dass therapeutische Unterstützung – besonders trauma-informierte oder bindungsbasierte Ansätze – die Heilung deutlich unterstützen können (vgl. Johnson, Emotionally Focused Therapy, 2008). EMDR, körperorientierte Methoden und Paartherapie auf Augenhöhe bieten oft konkrete Entlastung.

 

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Warum manche Menschen besonders stark reagieren – und was die Ursprungsfamilie damit zu tun hat

Ob und wie stark Menschen auf den Vertrauensbruch einer Affäre reagieren, hängt nicht nur vom aktuellen Beziehungsgeschehen ab, sondern oft auch von frühen Bindungserfahrungen. Wer in seiner Ursprungsfamilie emotionale Unsicherheit, Vernachlässigung oder widersprüchliche Nähe erlebt hat, trägt häufig ein erhöhtes „Bindungssensitivitätsniveau“ in sich. In der Bindungsforschung (vgl. Bowlby, 1969; Ainsworth, 1978) zeigt sich, dass Menschen mit unsicherer oder ambivalenter Bindungserfahrung auf Trennungs- oder Vertrauensbrüche intensiver reagieren – oft mit einem Gefühl von existenzieller Bedrohung.

Eine Affäre reaktiviert dann nicht nur aktuellen Schmerz, sondern auch alte, gespeicherte Beziehungserfahrungen: das Gefühl, allein gelassen zu werden, nichts wert zu sein oder sich nicht auf andere verlassen zu können. Der aktuelle Vertrauensbruch wirkt wie ein Auslöser („Trigger“) für ein emotionales Erleben, das weit über die konkrete Situation hinausgeht – und das Nervensystem in einen Zustand tiefer Überforderung versetzt.

Eine Affäre ist mehr als ein Vertrauensbruch – sie kann eine tiefe seelische Erschütterung auslösen. Wenn wir verstehen, dass das, was viele erleben, mehr ist als „nur Liebeskummer“, entsteht Raum für echte Heilung. Und vielleicht auch – für einen echten Neuanfang. Nicht trotz des Schmerzes, sondern mitten darin.

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Ich bin Louisa Scheel und arbeite als Paartherapeutin in meiner Privatpraxis in Berlin Mitte und Online. Mein Fokus liegt auf der Förderung einer gesunden emotionalen Kommunikation und der Stärkung einer sicheren Bindung. Hier könnt ihr mehr über mich erfahren.

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Vermeidender Bindungstyp und Sexualität

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Hilfe nach einer Affäre: Erste Schritte der Aufarbeitung